Landjuden
Nach der Pest von 1635/1636 standen ...
... in Raibach fast alle Häuser leer.
Nur acht Familien, wenige Witwen und Kinder hatten überlebt, aber das Dorf wurde nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Bauern, Handwerker und Händler aus Bayern, der Schweiz, dem Elsass und aus Osteuropa wurden angeworben. Katholiken, Hugenotten, Juden - das völlig verarmte Dorf konnte alle Einwanderer gebrauchen. Sie übernahmen Häuser, Werkstätten, Felder und sie bauten. Besonders für Juden hatte das Landleben damals zahlreiche Vorteile, auch mehr Freiheiten.
Landjuden konnten sogar zunftpflichtige Berufe wie Metzger oder Seifensieder ausüben. Als Vieh-, Geflügel- und Getreidehändler kauften und verkauften sie für die christlichen Nachbarn Gänse, Schweine, Milchkühe, Reitpferde, „Faselochsen“.
Als Synagoge, „Judenschule“, diente ein altes Fachwerkhaus, das kleine Haus 11 im Unterdorf. Dort wohnte auch der Lehrer. Ein Haus mit dem vorgeschriebenen Bad wurde direkt am Bach gebaut. Jüdische und christliche Nachbarn lebten neben- und profitierten voneinander. Um 1820 hatte Raibach dann mehr als 10 % jüdische Einwohner. Die Grundstücke im Unterdorf, die im 19. Jahrhundert im Besitz von Juden waren, sind in der Kartenskizze rot markiert.
Mit der Großherzoglichen Verfassung von 1820 erhielten die Juden weitgehende rechtliche Gleichstellung, darunter freies Niederlassungsrecht. Ab 1821 zogen die meisten jüdischen Familien nach Umstadt und von dort aus in die Großstädte oder nach Amerika. Für die jüdische Gemeinde Raibach begann der Niedergang. Trotzdem wurde noch 1861 eine neue Synagoge aus Quarzporphyr-Gestein gebaut (Flurstück 96, heute Unterdorf 16, Ostseite). 1875 verließ Herz Lichtenstein, der letzte Gemeindevorsteher, mit Ehefrau und sieben Kindern Raibach und ließ sich in Aschaffenburg nieder. Jetzt gab es im Dorf keine jüdische Gemeinde mehr.
1882 wurden die Flurstücke 96 und 97 an Landwirt Philipp Fischer V. (1857 - 1896) verkauft. Während des Nationalsozialismus wurden am 9. und 10. November 1938 alle Synagogen im Lande verwüstet oder zerstört. Die ehemalige Raibacher Synagoge, jetzt Lagerhaus und Scheune, blieb unbeachtet. Während des 2. Weltkriegs waren hier russische Zwangsarbeiter untergebracht. Anschließend diente das Gebäude als Unterkunft für Heimatvertriebene. Und in den sechziger Jahren wohnten auch hier die ersten Gastarbeiter. Heute erinnert nur die Fassade aus Quarzporphyr an der Dorfstraße noch an das frühere „Haus Gottes“.