Hirtenhaus
Mitten auf dem Weg zu den Sandgruben ...
... am unteren Ende der Bachgauer Hohl,
dem heutigen Sandweg, stand seit dem 18. Jahrhundert das Raibacher Hirtenhaus. Gänsehirten, Schaf-, Ziegen-, Kuh- und Schweinehirten waren für die Kleinbauern und Handwerker im Dorf äußerst wichtig. Und doch war ihr Ansehen noch geringer als das der Tagelöhner. In der sozialen Rangskala des Dorfes standen sie ganz unten.
Die jungen Hirten kamen meistens von außerhalb, waren in Raibach oft katholisch und häufig unverheiratet. Trotz ihrer Arbeit blieben sie arm. Sie wurden jeweils nur für ein Jahr „gedingt“ und erhielten ihren Lohn rückwirkend (!) am Ende der Weidesaison, traditionell „am Sonntag vor Martini“ (11. November). Das ganze Jahr über mussten die Hirten sehen, wie sie sich ohne Lohn durchschlugen, und jede Gelegenheitsarbeit annehmen. Deshalb bauten viele Gemeinden ein Hirtenhaus, in dem die Gemeindehirten eine Dienstwohnung hatten. Miete mussten sie nicht bezahlen. Das Haus blieb im Besitz der Gemeinde, die es auch zu unterhalten hatte.
Frühmorgens, vertragsgemäß ab sechs, verließen die Hirten nacheinander das Hirtenhaus. Sie bliesen ins Horn oder in die Trompete, schlugen die Klapper, knallten mit der Peitsche auf den Boden der Ortsstraße und lockten mit ihrer Stimme, während sie von Haus zu Haus gingen. Die Tiere kamen von ganz allein aus den Höfen und folgten instinktiv den anderen,
wobei die Hirtenhunde die wachsende Herde zusammenhielten. So ging es über die Haagwiesen bis zum Gänsweiher, manchmal auch in die Streuobstwiesen „auf dem Buschel“ oder in den Heegwald. Spät am Nachmittag ging es zurück. Und alle Tiere fanden ganz von selbst ihr Zuhause wieder.
Der letzte Raibacher Hirte war Michael Joseph Stier, 1848 - 1927, katholisch, aus Erzbrunn in Sachsen. Als junger Mann kam der Schäfer nach Raibach und blieb. Mit 33 Jahren heiratete er 1882 die Steinhauertochter Maria Löffler, 1848 - 1905, die Mutter seiner unehelichen Tochter Elisabetha Katharina.
Spätestens von da an stand das Raibacher Hirtenhaus leer. Als Tochter Maria 1883 zur Welt kam, kaufte Michael Joseph Stier das Haus Nr. 48 (später Oberdorf 45) seiner verwitweten Schwiegermutter Elisabetha, geb. Rückert, ab. 1888 wurde das Hirtenhaus abgerissen. Die Fundamente ließ man unter der Straßendecke aus Lehm, Sand und Schotter einfach verschwinden. Und so liegen sie wohl heute noch dort.