Treppengässchen
"Ja, Raibisch hot koan Sunneschoi, ...
... weil Raibisch leit im Groawe",
so lautet der Anfang eines Gedichts von Edgar Weber, in dem die schwierige Lage des Dorfes in einem engen, steilen Tal, „im Groawe“, angesprochen wird. Wer es sich leisten konnte, baute auf die Sonnenseite des Tals, an den steilen Südhang. Wohnhäuser standen an der Straße, dahinter Scheunen und Stallungen, dann große Gärten, terrassenförmig ansteigend, mit eigenem Zugang zu den Feldern.
"Oberm Ort", den ganzen Tag im Sonnenschein, lagen die "Spitteläcker". Die alte Flurbezeichnung verrät, dass das Land oberhalb des Unterdorfs ehemals dem Umstädter "Spital zum Heiligen Geist" gehörte. Das einstige Krankenhaus vor den Toren der Stadt verpachtete das Ackerland an Raibacher Kleinbauern, die im Hauptberuf Handwerker oder Steinhauer waren. Die aber wohnten meist nicht in den großen Hofreiten am Südhang.
Als Wege zu den Äckern legte die Gemeinde auf eigenen Flurstücken schmale Gässchen zwischen den Hofreiten an. War das Gelände besonders steil, wurden darin steinerne Treppen gesetzt. Mindestens zwei solcher Treppengässchen gab es im Bereich des Unterdorfs.
Vor allem vormittags arbeiteten Männer und Frauen gemeinsam auf dem Feld. Täglich um 11 Uhr läuteten minutenlang die Kirchenglocken, für die Frauen das Zeichen, nach Hause zu gehen und zu kochen. Über die Treppengässchen stiegen sie hinunter und gingen zu ihren Häusern auf der anderen Seite. Die Männer blieben bis zum Mittagsläuten. Dann folgten sie den Frauen zum Mittagessen.
Von besonderer Bedeutung war das Treppengässchen nahe der Kirche. Am Südrand der Spitteläcker führte nämlich ein Pilgerweg vorbei. Für Pilger aus dem Dieburger Land oder aus dem Bachgau mit dem Fernziel Walldürn war die Raibacher Kirche eine fest eingeplante Zwischenstation. Hier kamen sie über die Treppe hinunter zur Kirche. Nach einer kurzen Andacht kreuzten sie das Tal und setzten die Wallfahrt auf der "Hohen Straße" fort. Später mieden die Pilger den Weg über die Raibacher Kirche. Es war eben eine "protestantische" Kirche. Der Name Pilgerpfad aber blieb in Raibach bestehen.
Heute sind fast alle Treppengässchen nicht mehr zugänglich. Dieses hier ist eine Ausnahme. Steigt man hoch, hat man einen schönen Blick über Dorf und Tal.